Stille im faradayschen Zelt

Das Schweigen im Walde, die Ruhe vor dem Sturm, die Stille der Nacht – aber ist es jemals ruhig auf diesem Planeten? Der postmoderne Stadtmensch ist von permanenter Geräuschkulisse aus Verkehr, Technik und Gesprächen umgeben. Bei einer Auszeit auf dem Land genießt er die herrliche Ruhe, doch ist es außerhalb des Stadtlärms wirklich still? Singen da nicht Vögel, rascheln im Hintergrund Blätter und summen Insekten? Leben macht Lärm, oder positiver, das Leben ist ein geräuschvoller Prozess, der niemals aufhört. Eine absolute Stille ist nur im abgeschlossenen Raum möglich, der künstlich geschaffen, vom Menschen errichtet wird. Solch einen Raum präsentiert die niederländische Künstlerin Sarah van Sonsbeeck in ihrem Kunstwerk „Faraday Tent“, das zurzeit im Rahmen ihrer Ausstellung „Things to do in Mönchengladbach“ im Museum Abteiberg zu sehen ist.

Das kleine dreieckige Zelt könnte an einen naturnahen Campingurlaub erinnern, wenn es nicht futuristisch in der Sonne glänzen würde, denn der Stoff trägt eine Schicht aus Silber. Das Stück bedient sich dabei des physikalischen Prinzips des faradayschen Käfigs, des englischen Physikers Michael Faraday. Sein Außenmaterial ist ein elektrischer Leiter, der den Innenraum von sämtlichen elektrischen Schwingungen abschirmt. Er bildet damit eine Insel, die frei von elektrischen Schwingungen oder Funkwellen ist. Sarah van Sonsbeeck will mit ihrem Kunstwerk einen auf diesem Prinzip beruhenden möglichen Ort der Ruhe vorstellen. Einen Rückzugsort vor all den Einflüssen, denen die hochtechnisierte Gesellschaft ausgesetzt ist. Das Recht auf Stille sei jedem Mensch gegeben, sagt die Künstlerin. Sie kann sich vorstellen, dass ihr Kunstwerk auch als Gebrauchsgegenstand im Baumarkt von jedem gekauft werden kann.

Van Sonsbeeck initiiert mit ihrem „Faraday Tent“ die Überlegung, die Stille aktiv ins Leben zu holen und spricht ein modernes Bedürfnis nach Ruhe an. Die Geräusche der Natur sind für menschliche Ohren wenig anstrengend, weil sie sich nicht in den Vordergrund drängen. Im hektischen Treiben einer Welt aus Funktelefonen, Bildschirmen und globaler Vernetzung findet dahingegen eine permanente Reizüberflutung statt, die ein richtiges Abschalten erschwert oder gar nicht mehr möglich macht. Hier ist das Kunstwerk der Niederländerin ein intelligenter Hinweis auf den Wert absoluter Geräuschlosigkeit in unserer modernen Welt. Gleichzeitig zeigt es auch auf, dass es kein Zurück mehr gibt. Das Leben der Menschen wird nicht leiser werden, eher wird es im Angesicht der rasant wachsenden Bevölkerung zunehmen. Sarah van Sonsbeeck erinnert daran, dass wir heute ein intensiveres Erlebnis der Stille suchen und dass wir dank unseres Wissens in der Lage sind, es zu finden.